Mein Garten – der Weg zu mir
1964 durfte ich in einer Försterfamilie das Licht der Welt erblicken. Seit dieser Zeit habe ich vielfältige Erfahrungen mit diesem Licht gemacht. Immer auf der Suche nach dem einen Licht, dem göttlichen Licht meines Ursprungs. Durch meinen Vater und mein Elternhaus mitten im Wald wuchs ich umgeben von großen Bäume auf, zu denen ich immer aufschauen durfte. Das Rauschen der Blätter im Wind, das fallende Laub im Herbst zogen mich in den Bann und mit 20 Jahren beschloss ich, Landespflege zu studieren.
So kam ich mit Gartenkultur, Freiraumplanung, Pflanzenkunde und vielen weiteren naturwissenschaftlichen Fächern in Berührung. Zu dieser Zeit entdeckte ich die Freude am Fotografieren. Schon im Elternhaus fotografierte ich gerne. Es waren von Beginn an oft Bilder, die Stimmungen und eigene Gefühle festhalten und symbolisieren wollten. Ich fotografierte gerne im Gegenlicht, um die scharfen Grenzen der Pflanzenerscheinung aufzulösen. Indem ich hinter das Geheimnis der Pflanzen schauen wollte, war ich auf der Suche nach meinem Geheimnis.
Mit einem guten Freund machte ich zum Ende meines Studiums eine Reise nach Südengland und besuchte Friedhöfe und Landschaftsgärten. Diese Reise und die damit verbundene Beschäftigung mit der englischen Gartenkultur hat mich tief bewegt.
Meine Gedanken zum Thema „Garten“ möchte ich in den folgenden Kapiteln darlegen. Mit dem Wort Garten verbinde ich dabei einen weiten und ganzheitlichen Blick. Dabei kommt es mir nicht auf die Größe des Gartens an, sondern auf den Blick, mit dem ich meinen Garten betrachte. Es ist ein Blickwinkel, der wagt, Dinge auch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten als gewöhnlich. Dazu gehört für mich, sich auch mal zu bücken und ein Gänseblümchen auf dem Bauch liegend zu betrachten. Und es ist ein Blick von mir zum Garten wie von Klein zu Groß. Da wird ein Gänseblümchen größer als ich. Für diese Haltung genügen ein paar wenige Blumen und Sträucher meines Herzens, die ich liebe und schätze.
Aber ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung? Ja, er ist es, wenn er sie achtet und sich vor ihrer Größe verbeugt.
Mein Garten ist nie fertig
Seit meiner Kindheit liebte ich es, mit Gartenschere, Spaten und Schubkarre im Garten auf Entdeckungsreise zu gehen. Im Freisinger Moos hatte ich mit mehreren Studienfreunden einen Garten gepachtet, in dem wir viele gemeinsame Stunden verbrachten. Die langen Vorlesungen ermüdeten oft meinen Geist. Bei der Gartenarbeit durfte ich entspannen und zur Ruhe kommen. Während des Studiums konnte ich auch gelegentlich im Garten einer älteren, alleinstehenden Dame mit Hand anlegen. Das tat mir gut. Diese ältere Dame sagte mir, dass sie immer wieder in ihrem Garten etwas verändere, Zierliches von Wüchsigem befreie oder einen besseren Ort für ein Pflänzchen suche. Ihr Garten sei nie fertig. Diese Dame war über 80 Jahre alt. In vielen Gesprächen bei einer deftigen Brotzeit spürte ich die geistige Flexibiltät dieser Frau. Als sie in ein Altersheim ziehen musste, besuchte ich sie auch des Öfteren. Ihre geistige Flexibilität war auch ohne eigenen Garten geblieben. Sie hatte ihn in ihrer Seele verinnerlicht. Wie ihr Garten war auch sie „nie fertig“, sondern offen für Veränderung. Trotz alledem strahlte sie eine Gelassenheit aus, die mir damals, weit weg von zu Hause, und mit vielen Zukunftsfragen beschäftigt, sehr gut tat.
Heute weiß ich, wie schwer es ist, trotz meiner Unvollkommenheit die Gelassenheit nicht nur im Garten zu bewahren.
Mein Garten – ein Spiegelbild meiner Seele
Meine Vorliebe für „wilde – wüchsige“ Gärten mit vielen Erlebnisräumen, wie man sie z.B. in den englischen Landschaftsgärten findet, wuchs. Vitale Pflanzen wie der Hopfen, die englischen Rhododendren, die durch Stecklinge leicht vermehrbaren Weiden und verschiedene Gräser wurden meine Lieblingspflanzen.
Bald spürte ich die Resonanz solcher Gärten mit meiner Seele und ich erkannte Parallelen. Meine Seele ist auf der Suche nach dem Lebendigen, dem Vitalen, einer unbändigen Lebenskraft. Dabei merkte ich jedoch, dass es nicht der unkontrollierte Wildwuchs war, der mich in den Bann zog, sondern es war das Lebendige in der Ordnung. Oder anders formuliert: das Chaos in der Ordnung. Seit meinem Studium dichte ich auch gerne. In der Einsamkeit des Bayerischen Waldes an der tschechischen Grenze entstand das Gedicht „Vitava“ (das tschechische Wort für die Moldau). Ein Gedicht an das Leben.
Mein Garten – Freiraum für sinnliche Erfahrungen
Ich liebe Gärten, in denen ich zu jeder Zeit sinnliche Erfahrungen machen kann. Hier duftet ein Frühlingsflieder, dort in der heißen Sommerzeit ein Lavendelstrauch. Eine rote Erdbeere lacht mich an oder eine fruchtige Himbeere schenkt mir die gespeicherte Süße der warmen Herbstsonne. Auch duftende und heilende Kräuter wie Ringelblume, Zitronenmelisse, Thymian und Majoran oder die schneckentolerante Rukola liebe ich. Ohne sie wäre mein Leben ärmer.
Mein Garten – Nahrung für meine Seele
Nach einem langen arbeitsreichen Tag unter den letzten warmen Strahlen der untergehenden Abendsonne in meinem Garten die Seele baumeln zu lassen; hier ein zierliches Kraut von einer Wucherpflanzen zu befreien; dort einen Regenwurm wieder auf die Erde zu setzen oder die Tomaten zu gießen, das tut meiner Seele gut. Sie freut sich an dem, was alles in meinem Garten wächst und sein darf. Schon Augustinus schrieb: „Die Seele nährt sich von dem, woran sie sich freut.“
Mein Garten – die Sehnsucht nach Gott
Zu allererst ist in mir ein Staunen über Gottes vielfältige, bunte und großartige Schöpfung. Je mehr ich eintauche in die Wunder des Lebens, umso mehr staune ich. Dieses Staunen und die damit verbundene Ehrfurcht vor dem Leben prägte und prägt mein Leben. Erst später wurde mir klar, dass hinter der Suche nach „meinem Garten“ die Suche nach Geborgenheit, nach Licht und Wärme steht. Es ist ein Sehnen nach dem „Sein im Jetzt“ – nach tiefem Ruhen in innerem Frieden. Es ist ein Sehnen nach Gottes ewigem Garten der Liebe – dem Paradies.
Mein Garten – ein Weg zu mir
Wie die 80-jährige Dame darf ich in meinem Garten die Gelassenheit in der Unvollkommenheit lernen. Ob Schneckenfass oder Blattläusehunger. Die Wut auf die Un-Tiere spiegelten mir meine Ängste wider. Indem ich sie genau anschaute und mich mit ihnen beschäftigte (nicht immer auf die nette Art und Weise), lernte ich mich besser kennen. Mit den Jahren tat ich immer weniger und ließ immer mehr geschehen, ohne einzugreifen. Heute habe ich eine Hängematte im Garten. Liegestuhl und Hängematte sind für mich seitdem Symbol, meine Grenzen immer wieder zu akzeptieren. Sie erinnern mich an das Wesentliche: Viel Zeit mit mir und meinen Lieben zu verbringen; vieles, was ich nicht ändern kann, zu lassen und in Allem gelassener zu werden.
Mein Garten – ein Raum göttlicher Ordnung
Mit dem Einüben von mehr Gelassenheit in meinem Garten und meinem Leben wurde mir bewusst, wie wenig ich wirklich „in der Hand habe“. In diesem Bewusstsein beuge ich meine Knie vor dem Schöpfer des Universums und dem Urquell der Liebe. Nacktschnecken und Blattläuse zeigen mir dabei meinen Platz in der Schöpfung. Dafür bin ich ihnen dankbar! Denn ein Leben außerhalb der von Gott gehaltenen Ordnung ist ungehaltenes Chaos. Meinem Garten danke ich, dass er mir immer wieder hilft, zu meiner Mitte und meinem Platz in der göttlichen Ordnung zu kommen. Die Mutter Erde hält mich, damit ich nicht aus der Ordnung falle. Mein Körper, Geist und Seele dürfen sich im Einklang zu Gottes Lob und Ehre in Raum und Zeit entfalten.
Matthias Walch
Welch ein wunderbarer Beitrag 🌺
😀🪴🌺🌻🌸🌹