Wenn aus „schief“ an Weihnachten „genau richtig“ wird

Rastlose Wochen
Es ist abends, als ich einen gekritzelten Zettel aus meiner Hosentasche ziehe. Wie lange hat mich das Stück Papier begleitet. Mitten in der Adventszeit hatte ich sie angefertigt. Meine To-do-Liste. Am Abend des 26. Dezember wirkt es geradezu grotesk. Wie pedantisch habe ich mich in der Adventszeit und am Fest der Liebe an der Liste abgearbeitet. Ich blicke erschöpft ins Feuer.
Immer dann, wenn ich in der Garage die Kartons mit der Dekoration hervorziehe, spüre ich die Vorfreude auf Weihnachten aufsteigen. Meine Töchter lieben Weihnachten – den Lebkuchen, den Kinderpunsch, die Weihnachtslieder – das ganze Jahr. Freie Momente am Nachmittag nutzen wir für eine gemeinsame Teestunde und springen so spontan aus der Zeit. Doch mit jedem Adventstag wird die gemeinsame Zeit weniger und die Vorbereitungen bestimmen den Alltag. Schließlich drängt die Liste. Fast alle Punkte sind durchgestrichen. Am Ende geht der rote Faden im Weihnachtschaos dennoch verloren. Wie bitter.
Positives Denken?
Das Feuer trägt mich auf der Suche nach dem roten Faden durch das letzte Jahr. Ich fühle die Wärme, spüre aber auch die Verbrennungen der Zeit. Narben der Erinnerung, wie sie das Jetzt überlagern. Meine Augen wenden sich ab. In einer Zeitung lese ich vom Positiven Denken – wie alles im Leben zwei Seiten hat und dass man für die persönlichen „Schätze“ dankbar sein soll. Schnell suche ich das Gute. Drehe die Medaille. Und ja, sie hat zwei Seiten. Aus dem Moment heraus erklingt in meinen Kopf die Melodie zu „Different“ von Micah Tyler. Wie schwer hatten der Sänger und sein Umfeld an Krankheiten und Naturkatastrophen zu tragen. Zunächst bittet er Gott verständlicherweise, seine Umstände zu ändern. Dann aber, in der Tiefe des Schmerzes, erkennt er, dass manchmal die beste Bitte eher lautet: „Gott, kannst Du in mir wirken und mich verändern, sodass ich die Herausforderungen meistern kann, die du mir stellst.“ Wie recht Micah Tyler hat.
Ich denke noch mal über das Positive Denken nach. Dankbarkeit ist für mich mehr, als Dinge ins Positive zu wenden. Insbesondere dann, wenn Dinge aus dem Lot geraten; der rote Faden im Leben verloren geht. Dankbarkeit bedeutet auch, dass das Schwere und der Schmerz als das Empfundene akzeptiert werden darf. Drehe ich die Medaille nur zu einer Seite, verdränge ich womöglich einen Teil meines Lebens und befinde mich niemals dort, wo sich mein Leben und meine Seele treffen.
Schief und doch standfest
Auf dem Weg zur Christ-Mette gehe ich durch die weihnachtlich beleuchtete Innenstadt Northeims. Hier finde ich Fachwerkhäuser. Sie alle sind schief. Aus dem Lot, und doch stehen sie seit Jahrhunderten. Sie halten einander. Stück für Stück sind sie gebaut worden wie unser Leben. Jahr für Jahr. Der rote Faden, an dessen Ende das Lot hängt, ist Gottes Plan für uns. Und Gottes Lot misst anders als unser Menschen-Maß. Wir können uns von ihm leiten lassen. Ihm zu vertrauen, bedeutet gehalten zu werden. Tag für Tag, auch wenn der Wind rauer wird. Seine Liebe verbindet uns miteinander, sodass wir einander Halt geben, wie es die Fachwerkhäuser in Northeim gegenseitig tun. Aus schief wird genau richtig!
Ich nehme die To-do-Liste, bedanke mich bei ihr und werfe sie ins Feuer. Sie hat mich etwas Entscheidendes gelehrt. Ein erfülltes Weihnachten kann auf eine Sache reduziert werden. Liebe. Wir finden sie überall – in all ihren Facetten. Sie steckt letztlich in jedem unserer Wünsche. Statt Positives Denken, Simplify your Weihnachten denke ich, wie es wäre, wenn wir in der Familie vor Weihnachten unsere Wünsche zusammentragen, die Grenzen eines jeden berücksichtigen und im Dialog einen gemeinsamen Weg und ein gesundes Maß miteinander finden. Wir alle tragen am Ganzen. In guten und in schlechten Zeiten.
Für uns alle … Familien, Alleinerziehende, Singles, Mütter, Väter, Kinder, Jugendliche, Großeltern, Männer, Frauen, Glückliche, Einsame, Gesunde, Kranke…Menschen. Egal, was gewesen ist oder gerade passiert. Für uns alle ist Weihnachten. Es muss nicht anders sein. Es darf so sein. Weihnachten ist nicht an Bedingungen geknüpft. An keine erledigten To-do-Listen. Es steht für Gottes Liebe, auf die wir vertrauen können. Schließlich ist Gottes Plan genauer als jedes Maß. Zu jeder Zeit. Auch an Weihnachten.
Sebastian Peter
Danke für die schöne Geschichte genau an meinen Geburtstag. Und wenn ich Gott mit Mutter Erde ersetzte,passt es für mich noch besser❤️