Interview mit Gerald Hüther über die Initiative liebevoll.jetzt
Lieber Gerald, du hast die Initiative liebevoll.jetzt über die Akademie für Potentialentfaltung gegründet. Was waren denn die Hintergründe und die Intention dafür?
Ich befasse mich schon lange mit der Frage, was Menschen hilft, damit sie die in ihnen angelegten Potentiale, Talente und Begabungen entfalten können. Es war schnell klar, dass es ungünstig ist, wenn einer den anderen wie ein Objekt behandelt. Also konkret ihn zum Objekt seiner Absichten, Ziele, Belehrungen, Bewertung oder Maßnahmen macht. Ein Mensch muss sich davor schützen, weil dabei die Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Autonomie verletzt werden. Menschen sind keine Objekte wie Kühlschränke oder Autos. Der Belehrende erreicht also nicht das, was er eigentlich möchte. Besser wäre es, den anderen zu ermutigen, zu inspirieren und einzuladen – absichtslos.
Fazit: „Wir müssten versuchen, eine Gesellschaft aufzubauen, in der es tabu ist, dass man einen anderen Menschen als Objekt behandelt und sich selbst nicht als Objekt behandeln lässt.“ Jemand der sich seiner eigenen Würde bewusst geworden ist, würde nichts tun, was ihn in seiner Subjekthaftigkeit verletzt. Er macht sich selbst nicht zum Objekt seiner eigenen Bewertungen und Vorstellungen und er macht vor allem andere nicht zum Objekt. Er lässt sich auch nicht mehr verführen. Würde ist immer an die eigene Person gebunden und nicht zu verwechseln mit Normen, Werten, Ethik oder Moral, die stark von der Gesellschaft und dem Zeitgeist geprägt sind. Niemand kann jemandem sagen, worin seine Würde besteht, die muss jeder für sich selbst finden. Eigentlich reicht es, liebevoller mit sich selbst umzugehen, um seine eigene Würde wiederzufinden und aus dieser Art von Beziehungen herauszukommen, wo einer den anderen zum Objekt macht.
Und wie ist es dann dazu gekommen, dass diese Plattform liebevoll.jetzt gegründet wurde? Mit dem Grundgedanken, Menschen zusammenzubringen, die dasselbe Ziel haben – die alle liebevoller mit sich selbst werden wollen?
Wenn jemand liebevoller mit sich selbst umgehen möchte, stellt sich die Frage: „Was wäre denn das, was mir guttut und was hilft mir, damit es mir besser geht?“, und dabei kann man eigenartige Antworten bekommen, die vielleicht gar nicht die wirklichen Bedürfnisse erfüllen. Deshalb ist es hilfreich, sich bei dieser Frage mit anderen auszutauschen. Es wird klar, dass liebevoll mit sich sein nichts mit Egoismus zu hat, denn der Egoist braucht immer andere. Ganz im Gegenteil ist es hilfreich, sich mit sich zu beschäftigen, z.B. mal allein in den Wald zu gehen und über sein Leben zu reflektieren. Wenn man dann an den Punkt kommt, wo man sich innerlich aufrichtet und beschließt: „Das mache ich jetzt nicht mehr mit!“, und fühlt sich dann allein mit dieser Erkenntnis, dann ist es wie ein Grashalm, der sich aufrichtet und der nächste Wind haut ihn wieder um. Deshalb ist es gut, sich mit anderen in diesem Bemühen zu stärken. Erst wenn ich liebevoll mit mir selbst sein kann, kann ich liebevoll mit anderen umgehen. Es ist verständlich, den Wunsch zu haben, andere mögen liebevoller mit mir sein, aber das hilft einem nicht weiter. Andere kann ich nicht verändern, aber mich selbst.
Ja, es scheint für unsere Mitglieder hilfreich zu sein, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Wie bei dem Bild mit dem Grashalm entsteht dadurch Stabilität.
Das scheint auch in unserer gegenwärtigen, etwas verwirrten Zeit ein großes Bedürfnis zu sein. In unserer derzeitigen gesellschaftlichen Situation fangen Menschen wieder an, diese Grundfrage zu stellen: „Worauf kommt es im Leben wirklich an?“, und dann ist es wichtig, sich mit anderen auszutauschen. Bei liebevoll.jetzt kann sich jeder einbringen, es gibt Gelegenheit, sich auszutauschen, um gemeinsame Lösungen zu finden. Jemand, der liebevoll mit sich selbst umgeht, spürt, wie gut ihm das tut, und bekommt eine andere Ausstrahlung, und kann dann damit auch nach außen gehen. Das sind Menschen, die lächeln, denen sieht man das schon von Weitem an. Liebevoll.jetzt ist eine wunderbare Gelegenheit, Menschen zusammenzubringen, die nicht ständig etwas von anderen wollen, sondern die auch anderen etwas schenken können.
Viele Mitglieder berichten davon, wie schnell und leicht es ihnen gelingt, sich in so einem Raum mit liebevollen Menschen zu öffnen.
Es ist offenbar so, dass wir eine Sehnsucht haben, mit anderen in eine Art von Beziehung zu kommen, wo wir uns gesehen und angenommen fühlen, wo wir dazugehören dürfen und die anderen wirklich an unserem Wachstum und unserer Entfaltung interessiert sind. Wenn man das draußen in der Welt so selten findet, dann ist es großartig, in einer Gemeinschaft zu sein, wo das plötzlich möglich ist. Das neurobiologische Geheimnis daran ist: Wenn man sich selbst in seiner Subjekthaftigkeit, seiner Würde oder als liebevoller Mensch zeigt, auf den anderen zugehen kann, ihn anlächeln und aufnehmen kann, dann „öffnet das die Herzen“. Wenn ich mich zeige, ist das die Einladung für den anderen, sich auch zu zeigen. Das wird der Grund sein, warum viele bei liebevoll.jetzt sofort das Gefühl haben, dass sie dort zuhause und angenommen sind und dazugehören.
Dann entsteht Verbindung, es ist offensichtlich sofort Verbindung da.
Und wenn man keine Angst mehr voreinander haben muss und davor, dass man von anderen zum Objekt von Bewertungen und Belehrungen gemacht wird, dann öffnet man sich. Man kann von sich selbst erzählen und sich zeigen. Und wenn Menschen das tun, dann stellen sie fest, dass sie auf einer tieferen Ebene miteinander verbunden sind als lediglich auf der Ebene ihrer Überzeugungen und Vorstellungen, mit denen sie bisher herumgerannt sind. Die Konflikte, die wir haben, haben wir ja nicht, weil sich Menschen nicht verstehen, sondern weil die Vorstellungen, die sich im Laufe ihres Lebens ins Hirn gebaut haben, nicht zusammenpassen. Mit liebevoll.jetzt besteht die Möglichkeit, sich außerhalb dieser Ebene als Menschen, als Subjekte zu begegnen.
Alles Gute für die Plattform und alle Menschen, die sich hier einfinden und tatsächlich genau das wiederfinden, was wir hier besprochen haben.
Hier ist der Link zum Interview: https://www.youtube.com/watch?v=Ayskn54rn2U
Meine frühesten Kindheitserinnerungen sind durchdrungen von einem Staunen über die Welt, die sich vor mir wie ein Wunderland entfaltete.
Für mich war es zunächst selbstverständlich dass ich (heute würde ich sagen: “wie eine Frucht dieses Geschehens”) hier erwartet, angenommen und geliebt werde.
Liebevoll-jetzt ist wie ein Anknüpfen an diese segensreiche Zeit, einer “Urkraft” die trotz aller Unterbrechungen und Entstellungen, fortwährend wie ein unzerstörbarer Samen in uns Menschen keimt.
Danke für diesen wertvollen Beitrag.
Wolfgang