Liebevolles in muslimischen Kulturen

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Was kann man von muslimischen Kulturen an Liebevollem lernen?

Vielleicht ist es für den einen oder anderen ungewohnt, sich etwas von muslimischen Kulturen abschauen zu wollen. Und doch gibt es in jeder Gesellschaft neben dem Unachtsamen auch Liebevolles.

Gerald Hüther meinte in einem Interview mit dem Standard (https://www.derstandard.at/story/2000025297218/hirnforscher-huether-viel-wichtiger-als-wissen-ist-erfahrung): Das erfolgreichste Lernmodell der Evolution: Wenn Kinder miteinander spielend die Welt entdeckt haben, und je unterschiedlicher sie waren, desto besser. Ich nehme einmal an, das gilt auch für Erwachsene. Und so möchte ich spielend die liebevollen Elemente der sehr unterschiedlichen muslimischen Welt entdecken.

So wie die Blumen mit den spitzesten Dornen eine der schönsten und bestduftenden Blüten hervorbringen, so hat auch die muslimische Welt sehr viele Dornen. Und sie hat vieles, was zwar der Gemeinschaft dient, das aber häufig erfordert, dass die Einzelperson die eigenen Bedürfnisse hintanstellt.

Gleichzeitig haben die muslimischen Kulturen auch wunderschöne Blüten des Liebevollseins, von denen ich hier drei zur Inspiration beschreiben möchte.

Beziehungen

In vielen muslimischen Kulturen kommt die Beziehungsebene vor der Sachebene. Das bedeutet, dass immer zuerst Beziehung aufgebaut und gepflegt wird, bevor man Argumente, Wünsche und Inhaltliches anspricht. Sowohl im privaten Umfeld als auch in der Arbeitswelt. Der Alltag ist dadurch sehr persönlich. Die zwischenmenschliche Verbindung zählt mehr als die Leistung, die man abliefert. Die Menschen in muslimischen Kulturen interessieren sich generell für das Leben des Gegenübers. Nicht nur unter Freunden und Familie.

Berührungen

Dieses In-Beziehung-gehen findet in muslimischen Kulturen auch auf Berührungsebene statt: Hier abgesehen von Partnerschaften – hauptsächlich zwischen Frauen untereinander und Männern untereinander. So sieht man Frauen zusammensitzen, die gegenseitig mit den Haaren spielen. Oder Männer, die den Arm um den Freund geschlungen haben.

In westlichen Kulturen fällt es manchmal schwer, sich nicht-sexuelle Berührungen vorzustellen. Diese kommen hier meist nur als professionelle Berührungen (z.B. beim Arzt oder der Physiotherapie) oder als zufällige Berührungen (z.B. in der U-Bahn und im Fahrstuhl) vor. Und dennoch ist die Sehnsucht danach oft sehr groß. Möglicherweise kann man sich auf diesem Gebiet etwas von muslimischen Kulturen abschauen. Auch Kinder, vor allem Babys, werden in den meisten muslimischen Gesellschaften viel getragen und gehalten. Kinderwippen und Ähnliches sind noch eher selten.

Eigener Rhythmus

Viele Menschen aus muslimischen Kulturen leben viel mehr nach der inneren Uhr als nach der Uhrzeit. So geht man zum Beispiel zu Treffen meist dann los, wenn man so weit ist. Das kann bedeuten, dass die Menschen, mit denen man verabredet ist, schon vor einem da sind. Warten wird aber meistens nicht als Zeitverschwendung erachtet, sondern als Gelegenheit, mit wiederum anderen in ein Gespräch und in Beziehung zu kommen.

Durch das Leben nach der inneren Uhr leben viele Menschen in muslimischen Kulturen mehr nach dem eigenen Rhythmus. Das sorgt für viel innere Ruhe und Möglichkeiten für „Keyif“ – wie es in der Türkei genannt wird dem Seele-baumeln-lassen“. Nicht nur, was die Zeit angeht, lassen sich viele Muslime von der inneren Stimme leiten, sondern auch, was ihre Lebensreise betrifft. In einigen muslimischen Kulturen achten die Menschen auf ihre Visionen in den Nachtträumen oder tagsüber beim Seele-baumeln-lassen und lassen sich bewusst von ihnen führen.

In Mitteleuropa ist das Leben nach dem eigenen Rhythmus möglicherweise nicht immer umsetzbar; aber vielleicht doch öfter, als man denkt, wenn man immer mehr anstatt dem inneren Antreiber zu folgen nach dem inneren Rhythmus lebt.

Ganz generell ist die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Welten zwar oft herausfordernd, andererseits jedoch auch sehr erfüllend. Es ist, als ob man sein Buffet des Lebens erweitert und sich die Rosinen herauspicken kann. Wenn wir – im übertragenen Sinn – bis jetzt immer Käsebrot und Kaffee gefrühstückt haben, können wir jetzt auch Oliven, Arganöl oder Granatapfelkerne ausprobieren. Und sie zum Teil unseres Frühstücks werden oder auch wieder sein lassen. Man hat so die Möglichkeit, durch die Vielfalt neue Handlungsweisen kennenzulernen und auszuprobieren, sie zu übernehmen oder zu lassen. Ganz, wie es für einen selbst stimmig ist. Man hat die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie man sein will und muss nicht den Mustern und der Sozialisierung folgen – außer: Man will es.

Man hat durch die Auseinandersetzung mit der Vielfalt die Möglichkeit, selbstbestimmter zu leben und somit mehr im Einklang mit der eigenen inneren Stimme und dadurch liebevoller mit sich selbst.

Jaqueline Eddaoudi

www.dieorientalischewelt.com

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Antworten

  1. Vielen Dank Jaqueline für deinen so liebevollen Bericht. Ich bin seit 15 Jahren mit meinem Mann verheiretet, der aus dem Senegal kommt und tiefgründig gläubiger Moslem ist. Ich erlebe so einen liebevollen, ehrlichen, und mitfühlenden Glauben. Sehr viel, kann ich von meinem Mann lernen und leben. Vieles liegt in mir, nur wusste ich nicht was dies ist. Es ist die Liebe zu Gott, den Menschen und das Leben.

  2. liebe Jaqueline so liebevoll beschrieben die kulturellen Unterschiedlichkeiten, die doch aus sehr alten Traditionen kommen und massgeblich das Überleben vieler Völker möglich gemacht haben. Gilt es nicht das Menschliche zum Mitmenschlichen überbringen können lernen? Dann könnten wir alle wunder-vollen Blüten Mutter Erde in einer einzigen gigantischen Vase übergeben. Kulturelle Vielfalt ist ein Geschenk der Schöffung. Herzliches Danke 🙏

  3. Dass die muslimische Art zu leben anders ist, als es uns in unserer Gesellschaft beigebracht wird, kann man sehr schön erfahren und zwar in einem wunderbaren Roman:
    Buskaschi oder der Teppich meiner Mutter, geschrieben von Massum Faryar.
    Massum Faryar ist Anfang der Achtziger Jahre aus Afghanistan geflohen, hat dann in München Germanistik und Politik studiert und promoviert. Er war 2020 Stadtschreiber in Otterndorf (an der Niederelbe), so habe ich ihn persönlich kennengelernt und stehe immer noch in Kontakt mit ihm.
    Sein Roman schildert die Geschichte einer Familie in Afghanistan, darin eingewoben sind Bräuche, Rituale, orientalische Mystik und Weisheiten sowie die Geschichte dieses Landes von etwa 1919 bis 2009. Die Figuren im Roman wachsen einem ans Herz, man fühlt und lebt mit ihnen und zwischen den Zeilen ist viel liebevolles zu spüren über diese Kultur.
    Seit ich diesen Roman, oder Epos, wie er es nennt, gelesen habe, sehe ich Afghanistan mit völlig anderen Augen. Ich kann diesen Roman nur jedem empfehlen, der die islamische und orientalische Welt besser verstehen will.
    Aber Achtung: es ist an vielen Stellen so spannend, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand legt 😂