Es war einmal ein kleines Licht, das in der Stille der Nacht geboren wurde. Sein Leuchten war zart wie ein Flüstern, kaum wahrnehmbar – und doch echt. Es hatte den großen Traum, die Dunkelheit mit Wärme zu erfüllen.
Doch bald schon hörte es Stimmen um sich herum: „Du musst heller sein, sonst wirst du nicht gesehen.“ „Du darfst nicht so leuchten, du blendest andere.“ „Du bist zu klein, um etwas zu verändern.“
Verunsichert begann das Licht, sich zu verstecken. Es glomm nur noch schwach, fast unsichtbar, und glaubte, dass es erst etwas Besonderes werden müsse, um jemals eine Bedeutung zu haben.
Eines Abends kam der Wind durch die Nacht gefegt. Er spürte das traurige Funkeln und fragte: „Warum verhüllst du dein Strahlen? Ich sehe doch, dass du brennen willst.“
Das Licht seufzte: „Man sagt mir, ich sei zu klein. Dass mein Leuchten nichts verändert.“
Der Wind lachte sanft: „Ach, kleines Licht. Hast du vergessen, dass die Dunkelheit niemals fragt, wie groß du bist? Sie wartet nicht auf das Perfekte, sie wartet auf das Echte. Ein Funken genügt, um einen Weg sichtbar zu machen.“
Da wurde das kleine Licht ganz still. Es spürte tief in sich hinein und plötzlich erinnerte es sich daran, warum es auf die Erde gekommen war: Nicht, um die größte Flamme zu sein, sondern um in seiner eigenen Wahrheit zu leuchten. Und so begann es wieder zu strahlen. Nicht größer, nicht kleiner, einfach es selbst.
Menschen, die in der Nähe waren, bemerkten das Licht. Ein Kind lächelte, weil es sich nicht mehr fürchtete. Eine Frau atmete auf, weil sie den Weg nach Hause fand. Ein alter Mann hielt seine Hände ins warme Leuchten und flüsterte: „Danke.“
Da verstand das kleine Licht: Es musste niemandem etwas beweisen. Sein Geschenk lag im Dasein selbst. Und so leuchtete es weiter – still, wahrhaftig, unaufhaltsam.
Karin Nüßle